Zuckerentzug. Gibt es ihn wirklich? Muss mit Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwächeanfällen, Wutausbrüchen, Heulkrämpfen und noch mehr gerechnet werden? Wir haben es getestet.
Auf Zucker verzichten – ein gesundes und immer hipper werdendes Vorhaben. Auch Achilles-Running-Redakteurin Ellen-Jane will dem süßen Suchtmittel entsagen. Sie sagt von sich selbst, sie sei ein Sugarloser, eine Zuckerverliererin. Es scheint fast so, als würde sie fast alles, was bei ihr schief läuft, auf den Zucker schieben.
Jetzt will sie ein Jahr ohne Zucker leben, um zu sehen, ob sie so glücklicher, gesünder und ausgeglichener wird. Wir sind gespannt – und teilen regelmäßig Updates aus ihrem Alltag, berichten von Fortschritten, Rückschlägen und Schokoladenhalluzinationen.
Teil 1: Der Zuckerentzug
Zwei bis drei Tage bis hin zu einigen Wochen kann der Zuckerentzug wohl dauern; begleitet von den lustigen Entzugssymptomen. Da meine Ernährung bisher zu ca. 97 Prozent aus Zucker besteht, rechne ich mit dem Schlimmsten.
Ich beginne meinen ersten Tag ohne Zucker hoch euphorisch. Ist schon ziemlich gut von mir, dass ich jetzt ein Jahr ohne Zucker leben werde, finde ich zumindest. Jetzt hat das Jahr endlich begonnen.
“Was meint die mit zuckerfrei?”, denken jetzt sicher einige. “Auch kein Obst? Und was ist mit Milch? Da ist ja Milchzucker drin”. Die Sache mit dem Mit-Ohne-Zucker ist die, dass es mega individuell ist und der Weg komplett verschieden aussehen kann.
Ich habe beschlossen, keinem vorgegeben Programm zu folgen und mir meine eigenen Regeln zu bauen. Dazu gehört, dass ich während einer gewissen Umstellungsphase hard-core Low Carb leben will.
“Und dann will ich kotzen.”
Eier, Käse und Gemüse zum Frühstück, zu Mittag Gemüsesuppe. Spitzen Start. Ich fühle mich unbesiegbar und angenehm überheblich. Mit diesem Gefühl in mir poste ich ein tiefgründiges Taylor Swift Zitat bei Instagram, um den digitalen Startschuss für mein Jahr der Verwandlung zu geben.
Und dann will ich kotzen. Sorry, es lässt sich nicht eleganter ausdrücken. Mir wird plötzlich so schlecht, als wäre ich gezwungen worden einen Eimer voll mit verdorbenem Fisch zu essen.
Auf dem Boden wimmernd, den Kopf grade so über der Klobrille haltend, taste ich die Jeanstasche nach meinem Smartphone ab. Was macht der internetsüchtige Mensch in einer Notlage? Klar: Dr. Google um Hilfe bitten.
Auf einem äußerst seriös wirkendem Blog lese ich, dass Übelkeit eine Zuckentzugserscheinung sein kann. Außerdem steht dort, dass Bewegung gegen die Übelkeit helfen könnte, weil so wieder mehr Sauerstoff ins Blut gelangt und irgendwas mit verbesserter Fettverbrennung und irgendeiner Flexibilität.
“Erbrechen im Exorzisten-Style bleibt aus”
Also kratze ich mich vom Badezimmerboden und mache Squats. Bei jedem Auf-und-Ab fürchte ich, dass mein super Gemüse-Eier-Käse-Frühstück jeden Moment ein Comeback machen könnte.
Zu meinem und dem Glück der Einrichtung, bleibt das Erbrechen im Exorzisten-Style aus. Nach etwa einer Minute fühle ich mich tatsächlich etwas besser.
Fix werfe ich eine Handvoll Mandeln ein und pirsche zum Kühlschrank, um ein dickes Stück Lieblingskäse abzuschneiden. Es folgt ein Glas Wasser und mit frisch gefülltem Bauch geht es mir wieder gut; für ca. zwei Stunden.
Hallo, kuschliger, grüner Toilettenvorleger, da bin ich wieder. Nach kaum mehr als 20 Stunden in der Zuckerfreiheit steigen Zweifel in mir auf.
So läuft es dann den Abend und die Nacht über weiter … bis ich 4 Uhr nachts vom so extremen Brechreiz geweckt werde, genug davon habe, kapituliere und ein halbes Stück Roggen-Sauerteig-Knäckebrot esse. Tschüss, Übelkeit.
So kommt es, dass ich 28 Stunden nach Projektstart das erste Mal die Regeln umstelle. Ich werde wohl doch mehr Kohlehydrate essen, als geplant. Aber nur die Guten. Vollkorn und so. Und nicht in riesigen Mengen. Nur so viel, dass ich nicht wieder kotzen will.
“Im Bett zucken meine Muskeln im Hintern”
Am nächsten Tag kommen die Kopfschmerzen und unaufhörliche Gedanken an Süßkram.
Und dann … dann wird es unspektakulär. Schon am dritten Tag ohne Zucker geht es mir erstaunlich gut. Hin und wieder habe ich leichte Kopfschmerzen und abends im Bett zucken meine Muskeln im Hintern, aber nichts Dramatisches.
Allerdings denke ich wirklich unentwegt an Süßkram. So, als hätten Ritter Sport, Katjes und der Bäcker um die Ecke mit den geilen Schokocroissants einen Dauerwerbeblock in meinem Gehirn geschaltet.
“Früher hätte ich mir Unmengen an Süßkram ins Gesicht geschoben”
Irgendwann hat der Alltag wieder die Regie übernommen und das Thema Entzug scheint passé.
Bis der Tag kommt, vor dem ich mich gefürchtet habe. Schon beim Aufwachen weiß ich es: Heute wird mies. Heute ist grau, kalt, trist – vor der Türe und in mir.
Früher hätte ich mir Unmengen an Süßkram ins Gesicht geschoben und mich danach unweigerlich noch schlechter gefühlt. Dieses Mal geht das nicht. Alternativplan: Kalt duschen, laut Musik hören, Sachen und Dinge erledigen, viel bewegen. Ich finde tatsächlich die Energie dafür und es funktioniert.
“Zucker wird in Studien mit Depressionen in Verbindung gebracht”
Okay, der Tag ist nicht auf ein Mal fabelhaft, aber er war viel besser, als er hätte sein können. Am nächsten Tag wache ich dankbar auf. Ein dunkler Tag war da. Ich habe keinen Zucker gebraucht. Fühlt sich gut an.
Für mich ist das eine richtig große Sache. Schließlich ist einer meiner Gründe, den Zucker für ein Jahr aufzugeben, dass er in Studien mit Depressionen in Verbindung gebracht wird.
“Das Heftigste ist überstanden”
Der erste Monat ohne Zucker: fast geschafft! Und der Zuckerentzug? Das Heftigste ist überstanden, denke ich. Weder Kopfschmerzen, Übelkeit noch lustigem Muskelzucken suchen mich noch heim. Der Zuckerwerbeblock in meinem Kopf läuft deutlich seltener (primär, wenn ich erschöpft bin) und ich kann behaupten, ich fühle mich gut und vermisse aktuell nichts.
Allerdings ist meine Schlafwelt noch vom Süßen beherrscht: Ständig träume ich, ich hätte aus Versehen eine Packung Schokolade gekauft, sie aus Versehen geöffnet und sie ganz aus Versehen komplett aufgegessen. Und das meine ich nicht witzig ironisch.
In meinem Traum fühlt es sich wirklich wie aus Versehen an. Als würde meine Handlung zum Zuckeressen ferngesteuert. Ist vermutlich ziemlich nah dran, an meiner alten Realität.
Trotz der vielen Gedanken an Zucker, besonders wenn ich müde bin und mit einem fünf Monate alten Baby und einer Zweijährigen ist man oft müde, in Versuchung bin ich bisher noch nicht gekommen.
Wenn ich das hier so lese, klingt es recht heftig. Tatsächlich kam es mir bis auf den ersten Tag ziemlich easy vor. Aber so ein Entzug ist auch sehr individuell – manche merken angeblich kaum etwas. Ist aber auch nicht jede*r so ein krasser Zucker-Junkie.
Ich würde es jedenfalls genau so oder noch heftiger sofort wieder machen, denn die positiven Wirkungen überwiegen enorm. Aber dazu mehr, in einem anderen Beitrag.
Den täglichen Wahnsinn eines Jahres ohne Zucker von Ellen-Jane könnt ihr bei Instagram, Facebook und ihrem Blog www.sugarloser.com folgen.