Über das Laufen schreibt kaum jemand. Vor allem keine Literatur. Isabel Bogdan macht genau das in ihrem neu erschienenen Roman “Laufen”. Unsere Redakteurin Anna hat sich Zeit genommen und es gelesen.
Laufen, einfach um zu laufen – das machen die wenigsten. Fitness, der nächste große Lauf, eine Wette mit Freund*innen, es gibt immer einen guten Grund die Schuhe zu schnüren und sich im eigenen Rhythmus zu verlieren. Worüber die wenigsten Menschen sprechen ist, dass Laufen auch eine Bewältigungsstrategie sein kann.
Isabel Bogdans kürzlich erschienener Roman “Laufen” widmet sich genau diesem Thema. In einer atemlosen Erzählung verknüpft Bogdan Trauerarbeit mit Bewegung und zeigt, wie Sport dabei helfen kann, scheinbar ausweglose Situationen zu navigieren.
Worum geht es?
„Ich kann nicht mehr.“ In der Doppeldeutigkeit des ersten Satzes verortet Bodgan ihre Protagonistin und wirft von Anfang an Fragen auf, die sich durch den ganzen Roman ziehen. Kann die namenlose Ich-Erzählerin nicht mehr, weil sie läuft?
Oder läuft sie, weil sie nicht mehr kann? Das erfahren Leser*innen erst im Verlauf des Romans. Klar wird jedoch sehr schnell, dass die Protagonistin in einer tiefen Lebenskrise steckt. Lesende werden in ihrem Gedankenstrom geradezu mitgerissen, erfahren von Schuldgefühlen, Zukunftsängsten und einer tief sitzenden Trauer.
Die Erzählerin steckt fest, kommt nicht weiter. Dann beginnt sie zu joggen, nachdem einen Startplatz für den Hamburger Alsterlauf geschenkt bekommt. Schnell läuft sie regelmäßig, quält sich und wächst an sich selbst. Leser*innen begleiten sie während dieser Entwicklung, lesen ihre ungefilterten Gedanken zu Themen wie Einsamkeit, Kinderlosigkeit, Sex, Verlust und erleben gemeinsam mit ihr Höhen und Tiefen.
Wer hat’s geschrieben?
Isabel Bogdan ist Autorin und Übersetzerin. Die studierte Anglistin und Japanologin hat bereits zwei Bücher veröffentlicht. Ihre Essay-Sammlung „Sachen machen“ erschien 2012 bei Rohwolt und ihr erster Roman „Der Pfau“ wurde 2016 von Kiepenheuer und Witsch publiziert.
Die gebürtige Kölnerin lebt derzeit in Hamburg. Neben ihrer Tätigkeit als Autorin übersetzte sie bereits Bücher von Jane Gradam, Jonathan Safran Foer und Nick Hornby. „Laufen“ ist Bogdans zweiter Roman, der ebenfalls von Kiepenheuer und Witsch veröffentlich wurde.
Ein Typischer Satz aus dem Roman
„Und man fühlt sich gut nach dem Laufen, nicht nur, weil man stolz ist und weil man etwas für seine Gesundheit getan hat, sondern man fühlt sich auch körperlich gut, man hat das Gefühl, in jede einzelne Zelle wurde Sauerstoff gepumpt, und das ist ein großartiges Gefühl, außer dem einen Mal, als ich kotzen musste, weil ich viel zu schnell gerannt war, aber das passiert mir jetzt nicht mehr, wie bescheuert kann man denn sein, dass man sich so übernimmt, und zum Glück bin ich trotzdem dabeigeblieben und habe gelernt, langsam zu laufen, und noch langsamer, und habe mich gefreut, dass ich ein bisschen fitter wurde und wieder rauskam, außerdem kann man beim Laufen seine Gedanken sortieren, alles bekommt einen Rhythmus und eine Ordnung, jedenfalls kann man sich das eine Weile lang einreden, aber irgendwann merkt man, dass es in Wahrheit nicht funktioniert, nichts bekommt einen Rythmus und einen Ordnung, der Laufrythmus ist vorbei, sobald der Lauf vorbei ist, […] und nichts kommt in Ordnung, denn wenn man wieder nach Hause kommt, ist alles noch genauso da, wie es war, am Ende läuft man sowieso im Kreis und kehrt immer wieder dahin zurück, wo man hergekommen ist, immer weiter im Kreis, noch eine Runde und noch eine, nur um des Weiterlaufens willen.“
(Es ist wirklich nur ein Satz)
Für wen ist es?
„Laufen“ ist kein klassischer Roman, der die Entwicklung der Protagonistin durch einen aktionsreichen Handlungsverlauf zeigt. Stattdessen wählt Bogdan einen subtileren, emotionsgetrieben Spannungsbogen.
Anders gesagt, der Roman ist eine Charakterstudie, die sich durch die Gedanken und Gefühle der Protagonistin trägt. Bogdan wählt den Ansatz den Denkprozess der Erzählerin als Gedankenstrom durch Ich-Formulierungen darzustellen.
Das ist mutig, funktioniert aber nur, wenn man sich auf diesen Kunstgriff einlässt. Gedanken entstehen schließlich selten als Ich-Formulierungen im Kopf. Trotzdem erlaubt dieses sprachliche Experiment den ungefilterten Gedankenstrom der Protagonistin mitzulesen.
So vermischen sich Emotionen mit Gedanken vor der Hintergrundkulisse des Laufens. Man bekommt das Gefühl mitzulaufen, die Erzählerin zu begleiten. Das ist nicht immer leicht, stellenweise sogar etwas anstrengend. Es lohnt sich aber für alle, die auf der Suche nach einer laufenden, komplexen Protagonistin sind.
Ein Buch, das mitreißt, kritische Fragen aufwirft und es vermeidet Klischee-behaftete Antworten zu liefern.
Isabel Bogdan: “Laufen“, 208 Seiten, erschienen am 12.09.2019 bei Kiepenheuer & Witsch, ISBN: 978-3-462-35005-0, Preis: 16,99€.