Viele Läufer*innen haben den Schrank voller Laufschuhe – aber welcher taugt wirklich für einen Marathon. Wir haben einen gefragt, der es wissen muss: Ironman-Hawaii-Sieger Sebastian Kienle über den perfekten Marathonschuh, Barfußlaufen – und seine Schuhschränke.
Achilles: Sebastian, wieso braucht man für den Marathon eigentlich spezielle Schuhe?
Sebastian Kienle: Ein Marathon ist eine enorme Herausforderung für die Füße und Schuhe. Letztere sollten darum leicht sein und zur Laufgeschwindigkeit und zum Laufstil passen. Für Vielschwitzer gilt: Das Modell kann noch so schön leicht sein – wiegt es 200 Gramm mehr, wenn es feucht wird, bringt dir das auch nichts. Viele Leute bekommen Blasen, gewebtes Material ohne Innennähte hilft und ist eine Kerneigenschaft eines guten Marathonschuhs.
Es gibt Unmengen an Modellen – wie finde ich den richtigen Schuh?
Gerade wenn man noch nicht viel Erfahrung hat und den ersten Marathon läuft, ist eine gute Beratung im Fachhandel viel wert. Natürlich kommt man auch durch die Trial-and-Error-Methode irgendwann zum Erfolg, aber ich weiß nicht wie viele Fehler man sich da leisten will (lacht). Außerdem sollte man den Schuh auf dem Untergrund testen, auf dem später der Marathon gelaufen wird.
Der Schuh muss zu Tempo und Körper passen
Stichwort Material: Worauf achtest du besonders?
Mein Credo: Weniger ist mehr. Ich mag simpel konstruierte Schuhe, die den natürlichen Laufstil unterstützen. Schuhe ohne Gimmicks in den Zwischensohlen. Air-Elemente, Gelkissen usw. machen den Schuh meiner Meinung nach eher schlechter, weil sie irgendwie in den Schuh eingearbeitet werden müssen. Ich mag auch gleichmäßige Zwischensohlen aus ein- und demselben Material.
Wovon rätst du komplett ab?
Der Klassiker: Kauft niemals auf der Marathonmesse einen neuen Schuh für den Lauf am Tag darauf. Außerdem: Wettkampfschuhe sind schön und gut, aber wenn man einen Marathon nur in vier Stunden läuft und 80 Kilogramm wiegt, braucht man dafür keinen 180-Gramm-Schuh. Schätzt euch lieber realistisch ein und wählt einen Schuh, der zur Laufgeschwindigkeit und zum Körpergewicht passt.
Bei Laufschuhen liest man oft vom sogenannten Pronationsgrad: Was ist das?
Unter Pronation versteht man das Abrollen von der Außenseite der Ferse über den Mittelfuß bis hin zum großen Zeh. Man verlängert sozusagen die Strecke, die der Fuß abrollt. Es gibt sehr unterschiedliche Lauftypen: Manche laufen sehr stark über die Ferse, andere eher über den Mittelfuß und Menschen mit Plattfüßen knicken stark nach Innen ein.
Und das beeinflusst meine Schuhwahl?
Die Pronation kann durch Stützen im Schuh korrigiert werden. Aber dem Fuß muss Zeit gegeben werden, sich an einen solchen Schuh zu gewöhnen. Man sollte versuchen, durch viel Fußgymnastik und die Kräftigung vom Fußgewölbe dem Fuß seinen natürlichen Laufstil zu erhalten. In meinen Marathonschuhen habe ich eine kleine Stütze, weil man beim Triathlon nicht mehr so aktiv läuft und stärker nach Innen einknickt.
Der richtige Schuh für Hawaii
Brauche ich einen anderen Schuh für den Marathon in Berlin als für den Ironman auf Hawaii?
In Hawaii läuft man in großer Hitze und gießt sich öfters Wasser über den Kopf: Die Blasengefahr steigt und der Schuh darf nicht viel Wasser aufnehmen, damit er nicht schwer wird. Außerdem sollte der Schuh bei der Hitze gut belüftet sein: Das Wasser fließt gut ab und der Fuß kann trotz des heißen Asphalts gut atmen.
Die Hitze lässt den Fuß auch anschwellen, sodass man mit der Größe experimentieren muss. Dazu kommt, dass auf Hawaii die Strecke bei den vielen Verpflegungsstationen oft nass ist, der Schuh braucht also einen guten Grip.
Wie kurz vor dem Marathon kann ich mir neue Laufschuhe besorgen?
Im besten Fall: Lauf mit dem Typ Schuh ein Jahr. Und es ist wichtig, dass Paar Wettkampfschuhe ein paar Mal einzulaufen. Eigenschaften wie Dämpfung und Materialflexibilität lassen aber mit zunehmender Lebensdauer nach und der Federeffekt der Zwischensohle geht etwas verloren. Ich habe deshalb fünf Mal den gleichen Schuh und laufe im Wettkampf dann ein Exemplar, dass ich vorher 100 Kilometer eingelaufen habe.
Mehrere Paar Laufschuhe zu haben, ist auch sinnvoll, weil ein Schuh Erholung braucht. Gerade das Zwischensohlenmaterial braucht einige Zeit, bis es sich wieder vollständig ausgeruht hat, also wieder vollständig flexibel und dämpfend ist. Läuft man an zwei aufeinanderfolgenden Tag, sollte man die Schuhe wechseln.
“13 Paar laufe ich im Jahr durch”
Ist es nicht sinnvoll, mit unterschiedlichen Modellen zu laufen, damit die Belastung nicht immer genau gleich ist?
Absolut. Läuft man nicht immer nur mit einer Art Schuh, hält man den Fuß aktiv. Denn dasselbe Modell beansprucht oder entlastet dich immer nur in der gleichen Art und Weise. Man hat ja auch unterschiedlich Anforderungen, je nach Lauf: Macht man einen regenerativen Dauerlauf, dann ist ein gedämpfter Schuh sinnvoll, im Winter ist ein Schuh mit besserem Profil ratsam und für schnelle Einheiten will man einen flachen Schuh mit weniger Sprengung und einer festeren Zwischensohle haben. Als ambitionierter Läufer darf man ruhig um die fünf verschiedenen Modelle haben.
Wann merkst du: Der Schuh ist hinüber?
Man sollte auf keinen Fall solange warten, bis ein Loch drin ist. Es gibt da verschiedene Anzeichen, wie etwa der Verschleiß der Außensohle. Ein guter Schuh hält ca. 1500 Kilometer, das hängt aber auch vom Laufterrain und vom Gewicht des Läufers ab.
Und wie viele Paar verschleißt du in einem Jahr?
Um die 13 Paar laufe ich schon durch. Aber ich habe dank meiner Sponsoren auch den Luxus, aus dem Vollen schöpfen und viel ausprobieren zu können. Zuhause habe ich Schuhschränke mit mehr als 50 Paar Laufschuhen.
Es gibt den Mythos, dass kenianische Marathonläufer barfuß laufen: Muss ein Schuh möglichst leicht und quasi wie eine zweite Haut sein?
Der Fuß ist vom vielen Tragen dicker Schuhe degeneriert. Also ist ein Zurück zum natürlichen Laufen wichtig: Ab und zu mit einem sehr flachen Schuh ohne Sprengung zu laufen und dadurch den natürlichen Laufstil zu stärken. So kann man auch später im Wettkampf flachere, leichtere Schuhe verwenden. Aber damit viele Kilometer zu machen, halte ich nicht für sinnvoll. Und auch die Kenianer laufen heute keinen Marathon mehr barfuß.
Der Boxer Wladimir Klitschko schwört auf weiße Schuhe: Machen sie wirklich schneller?
Ich persönlich lasse meine Schuhe von einem Vodoo-Priester segnen, der auf ihnen ein Ei zerschlägt (lacht laut). Nein, also das mit den weißen Schuhen höre ich jetzt zum ersten Mal – und das ist Quatsch.
Du hast also kein Lieblingsdesign?
Ich mag es, wenn die Schuhe zum Rest des Outfits passen – da kann man sich ja mittlerweile austoben. Bei Laufschuhen geht bei mir Nutzen vor Design.
Zur Person: Der Triathlet Sebastian Kienle (Jahrgang 1984 ) ist mehrfacher Deutscher Meister, mehrfacher Sieger der Ironman-70.3 World Championship sowie der Ironman European Championship und der Ironman World Championship auf Hawaii (2014).
Das Interview führte David Bedürftig